Sich bewegen heißt leben

Durchschnittlich 600 m legen die heutigen Menschen zu Fuß zurück – wohlgemerkt vor der Corona-Pandemie. Verglichen mit unseren Vorfahren um 1900 ist das erschreckend wenig, denn diese gingen im Schnitt 18 km pro Tag. Die Folge der heutigen Bewegungsarmut: Übergewicht, Koronarerkrankungen, Durchblutungsstörungen, erhöhte Cholesterinwerte und vieles mehr. In diesen Zeiten der Corona-Pandemie mit Homeoffice und Videokonferenzen verstärkt sich diese Tendenz zur ‚Bewegungslosigkeit‘ noch einmal. Dabei weiß im Grunde jeder, dass Bewegung für unser körperliches Wohlbefinden unverzichtbar ist.

Diesen Bewegungsmangel können wir schon im Alltag entgegenwirken: Sie nutzen ab sofort das Treppenhaus statt den Fahrstuhl. Kleinere Entfernungen bei alltäglichen Besorgungen machen Sie zu Fuß, etwas Größere versuchen Sie mit dem Fahrrad zu bewältigen. Legen Sie sich einen Kalender zu, in dem Sie Ihre neuen Alltagsbewegungen aufzeichnen – in Minuten und Schritten oder Kilometern. Ein Schrittzähler, wie ihn auch zahlreiche Smartphone anbieten, kann dabei hilfreich sein und eine zusätzliche Motivation schaffen. Dies ist ein wichtiges, verhaltenstherapeutisches Prinzip. Sie sehen immer, wieviel Sie sich bewegt haben und: wenige Schritte sind immer besser als gar keine.

Daneben sollten Sie aber auch 2 – 3-mal in der Woche eine sportlich orientierte Aktivität einplanen. Dies kann z.B. ein ausgedehnter Gang von einer Stunde oder länger sein. Vielleicht haben Sie auch immer schon mit der ein oder anderen Sportart geliebäugelt. Haben Sie den Mut, einfach Verschiedenes auszuprobieren. Möglicherweise stellen Sie auch fest, dass es verschiedene sportliche Aktivitäten gibt, die Ihnen Spaß machen. Dann wechseln Sie zwischen diesen Sportarten, wozu Sie gerade Lust haben. Schauen Sie dabei nicht auf Höchstleistungen anderer. Sie allein sind Ihr Maßstab. Als ich mit dem Joggen angefangen habe und das erste Mal 5 Minuten – ganz langsam! – ohne Pause Joggen konnte, hatte ich das Gefühl, die Welt erobert zu haben. Dass andere das belächelten, weil sie einen Marathon laufen konnten, hat mich dabei nicht interessiert. Die derzeitige Pandemie hat zudem viele online-Sportangebote attraktiv gemacht. Schauen Sie mal ins Internet: Zumba, Yoga und vieles anderes wird online angeboten. Schauen Sie, was Ihnen zusagt.

Planen Sie aber möglichst fest die sportlichen Aktivitäten in Ihre Woche ein. Tragen Sie diese auch in Ihren oben genannten Aktivitäts-Kalender ein. Ich selbst mache das seit Jahrzehnten! Wenn es möglich ist, suchen Sie sich einen Partner, der etwa auf dem gleichen sportlichen Level liegt wie Sie, mit dem Sie gemeinsam Sport betreiben. Fest verabredete Zeiten mit einem solchen Partner helfen, den Sport nicht zu ‚vergessen‘.

Denken Sie daran, nicht nur der Körper profitiert von sportlicher Aktivität. Sport hat auch ganz große psychische Effekte. Nicht wenige Menschen leiden zur Zeit dieser Pandemie unter den Kontaktbeschränkungen und tendieren zu depressiven Stimmungen und Zukunftsängsten. Sportliche Aktivität vor allem Ausdauersport, wirkt Depressionen, Ängsten und Stress nachweislich entgegen. Sport jeglicher Art – und dazu zählt auch ein zügiges Gehen – stärkt nicht nur unser Immunsystem, sondern auch das Selbstvertrauen. Und das brauchen wir in diesen Zeiten ganz besonders. Durch Sport verbessert sich zudem der Schlaf, psychosomatische Störungen werden geringer und das subjektive Wohlbefinden verbessert sich.

Nehmen Sie Ihre Aktivität genauso wichtig wie Ihre täglichen Mahlzeiten! Auch wenn es Ihnen gelegentlich schwer fällt sich aufzuraffen – aber das Gefühl, an solchen Tagen seinen ‚inneren Schweinehund‘ überwunden zu haben macht auch sehr stolz. Die ersten Minuten sind meist die schwersten! Umso mehr können Sie sich hinterher über Ihre Leistung freuen. Diskutieren Sie nicht mit sich selbst, ob Sie Ihrem Sport nachgehen – es ist keine Frage; Sie legen einfach los!

Zu guter Letzt ein wichtiger Punkt. Wenn Sie anfangen Sport zu treiben ‚hören‘ Sie auf Ihren Körper und überfordern ihn nicht. Haben Sie bisher kaum Sport betrieben, dann fangen Sie mit kleinen Einheiten an und steigern Sie sich langsam. Erwarten Sie auch nicht, dass Sie innerhalb von wenigen Wochen abnehmen. Denken Sie daran, dass Bewegung und Sport in jedem Fall gut ist – für Ihr körperlich-seelisches Wohlbefinden.

Über Prof. Dr. Ulrich Bartmann:
Prof. Dr. Ulrich Bartmann ist Lauftherapeut und war 20 Jahre als Psychotherapeut in einer psychiatrischen Klinik aktiv. Bis 2013 war er Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt mit dem Schwerpunkt Handlungslehre der Sozialen Arbeit. Weiterhin ist er Dozent und Supervisor des Ausbildungsinstituts für Klinische Verhaltenstherapie in Gelsenkirchen und veröffentlichte etliche Publikationen über Abhängigkeitserkrankungen, Soziale Arbeit, Entspannungsverfahren und therapeutisches Laufen. Seine Hauptwerke sind »Laufen und Joggen für die Psyche« (2014 im dgvt-Verlag erschienen) und »Verhaltensmodifikation als Methode der Sozialen Arbeit« (2013 ebenfalls im dgvt-Verlag erschienen).

Weiterführende Links:
https://lauftherapie-vdl.de/de/lauftherapie-wegbereiter-förderer/131-dr-ulrich-bartmann-dgvt